Jahrzehntelang war sie, an der Seite ihrer Mutter Ilse Carstens, Gastwirtin auf der Neustadt, und sie war es gern. So wie viele ihrer Vorfahrinnen und Vorfahren stand Inke Nickelsen Tag für Tag und oft bis weit in die Nacht hinter dem Tresen des „Heinaver“. Seit 2001 ist die traditionsreiche Gastwirtschaft geschlossen. „Damit endet auch ein Stückchen Stadtgeschichte“, schrieb die Tageszeitung „Husumer Nachrichten“ damals.

Denn das „Heinaver“ stand noch lange, nachdem die Zeiten des Viehtriebs und Viehhandels auf der Neustadt vorbei waren, für eben diese Geschichte – als ursprünglich wohl ältestes Haus in der Neustadt, das allerdings 1961 durch ein moderneres ersetzt wurde. Hier war Inke Nickelsen, geborene Carstens, von Kleinauf an mittendrin im Geschehen.
Denn die Familie Carstens betrieb in der Nummer 118 von Beginn an ein Gasthaus, verbunden mit Viehhandel, so wie es einstmals in vielen (manche sagen in fast allen) Gebäuden in der Straße üblich war. „Ich hatte eine schöne Kindheit auf der Neustadt“, erinnert sich die Husumerin. Bis heute kann sie die Namen vieler ehemaliger Nachbarn aufzählen: „Hier war Dethleffsen, dann Gottburgsen, Nissen … Wo heute das Husum Hus steht, gab es mehrere kleine Betriebe: einen Fahrradhändler, den Schneider Piepke, eine Heißmangel, einen Fischladen, eine Sattlerei.“


Als junge Frau lernte Inke Nickelsen „Konfektion“, wie es damals hieß, und arbeitete einige Jahre im ehemaligen Kaufhaus Gramm am Markt. Ihr Lebensmittelpunkt aber war das „Heinaver“, benannt nach den männlichen Vorfahren ihrer Familie, die meist Heinrich hießen (… und das „Naver“ ist Plattdeutsch und steht für Nachbar).
Inke Nickelsen hat ihr gesamtes Leben auf der Oberen Neustadt verbracht. Seit der Gründung einer eigenen Familie mit zwei Söhnen, wohnt sie seit 56 Jahren mit ihrem Mann, der bis ins hohe Alter als Viehhändler tätig war, um die Ecke vom „Heinaver“ und damit nach wie vor im Herzen des Quartiers. „Hier ist mein Zuhause“, sagt sie und meint damit sowohl ihr Wohnhaus als auch das Stadtviertel. Ein Viertel, das sich über die Jahrzehnte stark verändert hat. Bedauern darüber ist nicht herauszuhören. „Alles hat seine Zeit“, ist ihr pragmatisches Credo. Am Haus Neustadt 118 ist heute keine Spur vom „Heinaver“ mehr zu erkennen.

Eines hat sich jedoch nicht verändert: Inke Nickelsen ist nach wie vor begeisterte Gastgeberin, hat viel Besuch, einen riesigen Bekanntenkreis. Und die vier Damen, die früher jeden Dienstag Vormittag die vier Barhocker am Tresen des „Heinaver“ besetzten, treffen sich bis heute: gleicher Tag, gleiche Zeit, gleiches Getränk, aber anderer Ort, nämlich die Küche von Inke Nickelsen. Dort genießen die fünf ihren „Kakasäer“, eine Eigenwortschöpfung aus Kakao und Pharisäer. Und wer sollte den besser kredenzen können als eine erfahrene und leidenschaftliche Gastwirtin wie Inke Nickelsen?
Text und Fotos (2): Heike Wells