60 Jahre Kino in Hartung-Hand
Eine der bedeutendsten kulturellen Anlaufstellen Husums mit Wirkkraft weit über die Stadt hinaus liegt in der Oberen Neustadt: das Kino-Center. Und das ist eng verbunden mit dem Namen Hartung – dem einer Familie mit Kinoleidenschaft in mittlerweile dritter Generation, die 60 Jahre lang (genau genommen noch etwas länger) Husums Kinogeschichte geprägt hat und bis heute prägt.
Bei Hans-Lorenz Hartung, geboren 1940, wurde die Begeisterung für das Kinoerlebnis schon früh geweckt. „Wir wohnten in der Wilhelmstraße 11, und direkt gegenüber, in der Nummer 10, wurde ein Kino eröffnet“, erinnert er sich. Das war „eine tolle Sache“ für den kleinen Hans-Lorenz, seine Schwester und die Mutter Karoline Hartung, eine Frau mit großer Passion für das bewegte Bild. Dass sie genau dieses Kino in der Wilhelmstraße später einmal übernehmen würde, daran dachte damals niemand. Aber so kam es schließlich, 1962.
In den Jahren zuvor war auch Hans-Lorenz zum Fan geworden und hatte nahezu jede Jugendvorstellung im „Gloria Filmtheater“ besucht. „Gleich bei der ersten war ich dabei, das war irgendwas mit ‚Sabu’“. „Sabu“ war der Künstlername eines indischen Schauspielers, der von 1937 an mit zahlreichen Verfilmungen – darunter auch des Dschungelbuchs – zur internationalen Berühmtheit avancierte.
Die 1950er Jahre, das waren andere Zeiten: Das Fernsehen gab es noch nicht, ganz zu schweigen von Video und Streaming-Diensten. Das Gemeinschaftserlebnis, der Besuch im damals noch vielfach Lichtspielhaus oder eben Filmtheater genannten Kino spielte eine zentrale Rolle in der Freizeitgestaltung breiter Bevölkerungsschichten. 1959 sei mit rund einer Milliarde das besucherstärkste Kinojahr in Westdeutschland überhaupt gewesen, weiß Hartung.
Doch wenige Jahre später wendete sich das Blatt. Fernsehgeräte hielten Einzug in deutsche Wohnstuben. 1962 stand das „Gloria“ zum Verkauf – und Karoline Hartung, die längst dort an der Kasse arbeitete, übernahm. „Mehr aus der Not heraus, es gab keine weiteren Interessenten und aufgeben wollte sie das Haus nicht“, erzählt der Sohn. So kam es, dass die Familie 2022 auf 60 Jahre Kino in Hartung-Hand zurückblicken kann.
Für Hans-Lorenz Hartung allerdings schien sich 1962 eine andere berufliche Zukunft abzuzeichnen. Bundeswehr und eine Ausbildung zum Rechtsanwaltsgehilfen, dann eine Tätigkeit als Bürovorsteher lauteten die Stationen. Die Jahre jedoch, in denen er im Kino nicht nur Filme geguckt, sondern auch häufig ausgeholfen hatte („Karten abreißen und so was“) hatte er nicht vergessen. Und so trat er schließlich in die Fußstapfen der Mutter und übernahm 1970 gemeinsam mit seiner Frau Sigrid, einer leidenschaftlichen Cineastin, das „Gloria“.
Dass dann auch Sohn Stephan die Familientradition fortsetzen würde, war diesem quasi in die Wiege gelegt. „Ich bin im Kino geboren“, lacht er. Was nicht ganz stimmt, aber fast: Er kam in der Wohnung über dem „Gloria“ zur Welt, in der die Familie lebte. Der Kinosaal war für den 1966 geborenen Husumer wie ein zweites Zuhause und die Perspektive schnell klar: Diplom-Studium zum Betriebswirt, einige Jahre „Lernzeit“ in verschiedenen Kinobetrieben in Deutschland zur Vorbereitung auf die eigene Rolle als Kinobetreiber.
Da waren Sylvia Marksteiner und er schon viele Jahre ein Paar. Sylvia allerdings sah ihre berufliche Zukunft nicht im Kino: „Gleichstellungsbeauftragte wollte ich werden“, sagt die Diplom-Sozialpädagogin. Wurde sie schließlich auch, in der nordfriesischen Kreisverwaltung. Da arbeitete Stephan bereits im Kino-Center der Eltern auf der Neustadt mit, das diese 1977 zunächst als Einzelkino namens „Capitol“ übernommen hatten. 1994 wurde geheiratet – und 2002 wurde Sylvia Marksteiner-Hartung dann doch Kinobetreiberin, gemeinsam mit ihrem Mann in Nachfolge von Sigrid und Hans-Lorenz Hartung. Ein weiteres Hartung-Jubiläum 2022 also: das 20-Jährige für Stephan und Sylvia.
Die 1968 geborene Husumerin brachte eine Kinobegeisterung der ganz anderen Art ein: nicht so sehr die einer Cineastin, als vielmehr die für das Kino-Center. „Ich bin nicht in erster Linie Feuer und Flamme für das Medium Film, aber für den Betrieb“, sagt Sylvia Marksteiner-Hartung. „Es macht mir Freude, ihn zu leiten, weiterzuentwickeln, Veranstaltungen zu planen und zu organisieren – das ist einfach ein toller Job.“
Text: Heike Wells